Landeinwärts, ….. Armut, Dürre, Steine

Zagora stöhnt in der grellen Sonne. Staub, ausgetrocknete Erde, Durst. Der Bach oder kleine Teich –  versiegt. Das spärliche Gras, die verkrüppelten Büsche und die Blätter der vereinzelten Bäume sind verdorrt. Schafe ziehen die staubige Straße entlang, schwer atmend, eng aneinander gedrängt. Unter dem rötlichen Gebüsch ein toter Vogel. Der Sommer geht zu Ende.

Die latente Stille wird erst gegen Abend von feinem fernen Donner gestört. Blitze zeichnen die Konturen der Berge Svilaja, Kamisnica und Dinara an den Horizont.

Erleichtert blicken die Menschen zum Himmel. Aber von der Dinaras weht ein leichter Wind, er vertreibt die Gewitterwolken und die Hoffnung auf Regen. Die Sommerdürre hat Falten der Sorge in die Gesichter geschnitten. Wenn es Gold regnete, es wäre nicht wertvoller als Wasser.

Das ist das Bild der dalmatinischen Zagora, die sich weit ins Land hinein erstreckt, bis an die Grenze von Bosnien und Herzegowina. An der Küste derReichtum der Badeorte, aber nur wenige Kilometer landeinwärts Armut, Dürre und Steine. Es gibt kaum Ackerboden und noch weniger Industrie. Kein Zufall also, dass die Leute hier das Vieh „Blago“ nennen, übersetzt Schatz, denn sie leben von der Viehzucht. Auch die Weinberge bringen noch geringen Verdienst. Alles andere – das bißchen Korn, Gerste, Kukuruz und Kartoffeln – deckt kaum den Eigenbedarf.

Fünfzig Menschen pro Quadratkilometer sind für dieses arme Land zu viel, und die wenigen Fabriken, die erst in den letzten Jahren entstanden sind – in Knin, Obrovac, Sinj, Imotski -, können nicht alle Arbeitsuchenden aufnehmen.

                   

Vor dem Bahnhof in Knin sitzen dreißig Männer im Schatten und starren in die Ferne. Die geflickten Anzüge und Sandalen, deren Sohlen heute noch aus alten Autoreifen geschnitten sind (anders könnte man nicht über die spitzen Steine gehen), bezeugen ihre Armut. Die Leute kommen aus Bukovica und warten auf den Zug.

Immer mehr Menschen verlassen Binnen- Dalmatien und gehen nach Deutschland oder in ein anderes Industrieland.

Viele ziehen auch in die fruchtbaren Regionen Jugoslawiens, wo sie sich als Saisonarbeiter verdingen oder auch für immer niederlassen. Oder sie drängen in dieKüstenstädte. In Split zum Beispiel stammt die Hälfte der Einwohner aus der Zagora. Knin ist ein Städtchen mit 6000 Einwohnern, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt – von hier gehen Bahnlinien in alle Himmelsrichtungen: nach Zadar, Split, Zagreb und Belgrad. Aber es gibt nur eine asphaltierte Straße, zum 58 Kilometer entfernten Sibenik, die anderen stammen noch aus der Zeit der Habsburgischen Monarchie. Über dem modernen Knien ragt der „Schlüssel Kroatiens“ auf, eine alte Festung, einst die mächtigste in Dalmatien. Die Grundmauern haben slawische Einwanderer im 6. Jahrhundert errichtet; danach wurde die Festung immerwieder umgebaut, und nun türmen sich bis zu 20 Meter hohen Mauern scheinbar chaotisch übereinander. Zwischen den Ruinien wachsen Kirschbäume, auf dem in altslawischen Buchstaben irgendeine Inschrift steht – vielleicht für die Russen, die hier 1805 im Kampf gegen die Franzosen gefallen sind.

                 

Am östlichen Rand des Kniner Feldes entspringt der Fluß Krka. Seine Quelle bietet ein seltenes Naturschauspiel, denn in sie mündet das Flüßchen Krcic in Gestalt eines 20 Meter hohen Wasserfalls (das Flüßchen selber entspringt etwa zehn Kilometer enfernt unter dem ewig weißen Gipfel der Dinara). Die Krka fließt zunächst in ihrem ebenen Tal ruhig dahin, bis sie plötzlich, nach Knin, in einen 75 Kilometer langen Canon eintritt, den sie mit schäumenden Kaskaden und der Mensch mit Mühlen und Klöstern ausgeschmückt hat. Ein ideales Reiseziel für Wildwasser Freunde.

Ungefähr 40 Kilometer nach Knien öffnet sich die Krka zu einem See (Visovacko jezero, 3,5 Kilometer lang und 750 Meter breit), und mitten darin, auf einer mit Zypressen und Föhren bestandenen Insel, das Kloster visovac. Aber der Höhepunkt der Krka sind ihre Wasserfälle bei Skradin, 16 Kilometer von Sibenik entfernt.

Mit der Krka kann die Zrmanja nicht konkurrieren, aber sie ist die Lebensader der Gegend um Obrovac. An ihren Ufern wurde Bauxit gefunden und mit der Aluminiumerzeugung begonnen, wodurch diese Region, eine der ärmsten in Kroatien, aus ihrem Elend befreit wurde.

Die Zrmanja mündet schließlich in ein kleines Binnenmeer, das nur durch eine Schlucht (Maslenicko zdrijelo) mit der Adria verbunden ist. Der Autofahrer gelangt über die sie überspannende Brücke zum ersten Mal auf dalmatinischen Boden.

Ins Binnenland wird er wohl kaum fahren, obwohl gerade die Landschaft um Obrovac zeigt, daß auch in der Eintönigkeit der grauen Steinwüsten Naturschönheiten verborgen sind. Wie ein Kunstwerk muten die gleichmäßigen Hügel an, die sich in majestätischen Wellen bis zum Meer erstrecken.

                  

Eine Seenlandschaft (19 an der Zahl) erwartet den Besucher in der Gegend um Imotski, nördlich des Biokovo- Massivs, 60 Kilometer von der Adria- Magistrale entfernt, auf einer kürzlich asphaltierten Straße erreichbar. Der erste heißt wegen der tiefblauen Farbe seines Wassers Blauer See(Modro jezero), und trotz einer Tiefe von 100 Metern trocknet er in heißen, regenlosen Sommern völlig aus. Noch interessanter und eines der größten Naturphänomene im kninarischen Karst ist der Rote See (Crveno jezero). Man nimmt an, dasser durch den Deckeneinsturz einer unterirdischen Seehöhle entstanden ist; darauf deuten seine Tiefe von 250 Metern und die an seinen Ufern bis zu 500 Metern steilaufragenden Felswände, nach deren grellroter Farbe der See benannt wurde. Etwa 10 000 Menschen aus Imotski und Umgebung arbeiten zur Zeit in Deutschland, und der €uro ist hier schon die heimische Währung. Man kann mit ihr Brot, Salz, Kleider und Vieh kaufen. Vor nicht allzu langer Zeit haben Gastarbeiter von ihren Ersparnissen den Bau einer Fabrik finanziert, in der jetzt ihre Frauen, Mütter und Schwestern arbeiten. Man hofft, dass andere ihrem Beispiel folgen werden.

Imotski selbst war schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt und wird von den Ruinen einer türkischen Festung beherrscht. Hier residierte einmal ein türkischer Richter, und die Legende erzählt, dass hier auch Hasan- Aga mit seiner Frau gelebt habe, die in einer der Schönsten Volksballaden besungen wurde – Goethe hat sie übersetzt.

Sinj, 30 Kilometer von Split enfernt, ist für seine alljährlich im August stattfindenden Reiterspiele berühmt, die Sinjska Alka. Sie gehen auf den Sieg über die Türken im Jahr 1715 zurück und locken von Jahr zu Jahr mehr Besucher an. Die Stadt ist dann festlich geschmückt, die Einwohner haben ihre schönen Trachten an, auf der Straße sitzen Volkssänger, die ihre Balladen und Lieber auf der Gusla ( dem alten Saiteninstrument) begleiten. Und dann die Spiele: ein faszinierendes Schauspiel, das an mittelalterliche Turniere erinnert, bei dem die berittenen Teilnehmer mit dem Speer einen Ring (türkisch balka) treffen müssen.

Trotz seinen Reiterspielen und Landschaftlichen Schönheiten ist Binnen- Dalmatien ein fast unbekannter Landstrich. Deshalb haben die sieben Gemeinden Vrgorac Imotski, Sinj, Knin, Drnis, Bekovac und Obrovac, die zu den ärmsten in Kroatien gehören, einen Fremdenverkehrsverein gegründet.

Und das Pflänzchen Tourismus  treibt auch schon die ersten Blüten. Den Neugierigen des vorigen Jahrhunderts, die den dinarischen Karst und seine geologischen Besonderheiten entdeckten, folgen nun die Sommerfrischler auf der Suche nach dem einfachen Leben. Und sie mögen manchmal die alten Leute beneiden, wie sie vor ihren Hütten sitzen und zufrieden dem Spiel ihrer vielen Kinder und Enkelkinder zusehen – vor ihrem Haus, in dem sie geboren wurden und in dem sie sterben werden.